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Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18.09.2024
2 BvE 1/20 und 2 BvE 10/21 -

AfD-Fraktion scheitert mit Klagen zum Ausschussvorsitz

AfD hat keinen Anspruch auf Ausschussvorsitze im Bundestag

Das Bundes­verfassungs­gericht hat zwei Organklagen der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag (Antragstellerin) teilweise als unbegründet zurückgewiesen und im Übrigen als unzulässig verworfen. Im Verfahren 2 BvE 1/20 wendet sich die Antragstellerin gegen die Abwahl des ihrer Fraktion angehörenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in der 19. Wahlperiode. Im Verfahren 2 BvE 10/21 rügt sie die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden des Innenausschusses, des Gesundheits­ausschusses und des Entwicklungs­ausschusses in der 20. Wahlperiode, bei denen die von ihr vorgeschlagenen Kandidaten jeweils keine Mehrheit erreichten. Die Antragstellerin sieht sich dadurch in ihren Rechten auf Gleichbehandlung als Fraktion verletzt.

Die Fachausschüsse im Deutschen Bundestag nehmen in großem Umfang Aufgaben des Plenums wahr. Weite Teile der fachlichen Beratungen und der Vorbereitung der Entscheidungen des Bundestages, die abschließend dem Plenum in seiner Gesamtheit obliegen, sowie der Informations-, Kontroll- und Untersuchungsaufgaben des Parlaments finden in den Ausschüssen statt. Die Zusammensetzung der Ausschüsse und die Regelung ihres Vorsitzes wird im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorgenommen (§ 12 Satz 1 GO-BT). Die Fraktionen benennen die Ausschussmitglieder (§ 57 Abs. 2 Satz 1 GO-BT). Die Ausschussvorsitzenden erfüllen geschäftsleitende und repräsentative Funktionen. Ihnen obliegt die Vorbereitung, Einberufung und Leitung der Ausschusssitzungen sowie die Durchführung der Ausschussbeschlüsse (§ 59 Abs. 1 GO-BT). Die Vorsitzenden sind bei der Wahrnehmung ihrer amtlichen Aufgaben gehalten, parteipolitische Neutralität zu wahren. § 58 GO-BT statuiert, dass die Ausschüsse ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreterinnen und Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 GO-BT) „bestimmen“. Seit der ersten Wahlperiode ist es üblich, dass sich die Fraktionen im Ältestenrat um eine Einigung bemühen, welche Fraktion welchen Ausschussvorsitz erhalten soll. Gelingt eine solche Einigung nicht, werden die Ausschussvorsitze im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Die Fraktionen wählen in einer anhand der Stärkeverhältnisse im Parlament bestimmten Zugriffsreihenfolge je einen noch freien Ausschussvorsitz, sodass nach und nach alle Ausschussvorsitze vergeben werden. Die Ausschüsse bestimmen in ihren konstituierenden Sitzungen ihre Vorsitzenden. Dabei erklärt die vorschlagsberechtigte Fraktion, wen sie für das Amt des Ausschussvorsitzes vorsieht. Bis einschließlich zur 18. Wahlperiode (2013-2017) wurde dann wie folgt vorgegangen: Erhob sich gegen den Vorschlag kein Widerspruch oder ließ das Verhalten der Ausschussmitglieder auf allgemeine Zustimmung schließen, war der Vorschlag durch Akklamation bestätigt. Nur wenn Widerspruch geäußert wurde, wurde gegebenenfalls eine Wahl durchgeführt. Beides war nur vereinzelt der Fall.

In der 19. Wahlperiode kam es in mehreren Ausschüssen nach Widersprüchen durch Ausschussmitglieder anderer Fraktionen zu Wahlen zum Ausschussvorsitz. Die von der Antragstellerin benannten Kandidaten erreichten damals die erforderlichen Mehrheiten, darunter der Abgeordnete Brandner im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Rechtsausschuss). In den Jahren 2018 und 2019 beanstandeten Mitglieder des Rechtsausschusses das Auftreten des Vorsitzenden bei Veranstaltungen des Deutschen Anwaltvereins am 28. Februar 2018 und 15. Januar 2019. Sie beklagten, der Vorsitzende habe nicht das erforderliche Maß an parteipolitischer Zurückhaltung walten lassen und dadurch seine Aufgabe, den Ausschuss als Ganzen zu repräsentieren, verfehlt. In der zweiten Hälfte des Jahres 2019 rief der Abgeordnete Brandner durch mehrere Beiträge auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ öffentliche Empörung hervor. Vor diesem Hintergrund beschloss der Rechtsausschuss am 13. November 2019 auf Antrag der Obleute der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen mit 37 Ja- gegen sechs Nein-Stimmen, den Abgeordneten Brandner vom Ausschussvorsitz abzuberufen. Fortan leitete der stellvertretende Ausschussvorsitzende den Rechtsausschuss. Auch zu Beginn der 20. Wahlperiode kam das Zugriffsverfahren bei der Verteilung der Ausschussvorsitze zur Anwendung. Dabei fielen der Antragstellerin die Vorsitze der Ausschüsse für Inneres und Heimat (Innenausschuss), Gesundheit (Gesundheitsausschuss) und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Entwicklungsausschuss) zu. In den konstituierenden Ausschusssitzungen am 15. Dezember 2021 wurden auf Antrag der Regierungsfraktionen geheime Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden durchgeführt. Bei diesen Wahlen erhielt keiner der von der Antragstellerin vorgeschlagenen Kandidaten die erforderliche Mehrheit. Die Vorsitze sind seitdem vakant; die stellvertretenden Vorsitzenden leiten die Ausschüsse. Die Antragstellerin macht jeweils geltend, von den Antragsgegnern – den genannten Ausschüssen, dem Bundestag sowie der Präsidentin und dem Präsidium des Bundestages – in ihren Rechten auf Gleichbehandlung als Fraktion, auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung und auf effektive Opposition verletzt worden zu sein.

Spiegelbildliche Besetzung gilt für Ausschüsse, aber nicht für Vorsitzposten

Die Anträge sind zulässig, soweit sich die Antragstellerin gegen den Rechtsausschuss (2 BvE 1/20) beziehungsweise den Innen-, den Gesundheits- und den Entwicklungsausschuss (2 BvE 10/21) wendet und die Verletzung ihres Rechts auf Gleichbehandlung als Fraktion aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages durch die Abwahlentscheidung beziehungsweise die Durchführung ungebundener Mehrheitswahlen geltend macht. Im Übrigen sind die Anträge unzulässig. Soweit sie sich gegen den Deutschen Bundestag als Gesamtorgan sowie im Verfahren 2 BvE 10/21 zusätzlich gegen die Präsidentin des Bundestages und gegen das Präsidium richten, fehlt es diesen an der passiven Prozessführungsbefugnis. Im Organstreitverfahren passiv prozessführungsbefugt und damit richtiger Antragsgegner ist, wer die angegriffene Maßnahme zu verantworten hat. Die im Verfahren 2 BvE 1/20 angegriffene Abwahlentscheidung wurde von dem Rechtsausschuss getroffen. Es ist nicht zu erkennen, dass die Abwahl dem Bundestag in seiner Gesamtheit rechtlich zugerechnet werden könnte. Die im Verfahren 2 BvE 10/21 angegriffenen Wahlakte sind von den jeweiligen Ausschüssen zu verantworten. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, weshalb die lediglich organisatorische Rolle eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages bei der Durchführung der Wahlen in der konstituierenden Sitzung der Ausschüsse und der Feststellung des Abstimmungsergebnisses zu einer rechtlichen Verantwortlichkeit des Bundestages oder seiner Präsidentin für die Durchführung der Wahl führen sollte.

Die Anträge sind, soweit zulässig, unbegründet. Prüfungsmaßstab ist allein das Grundgesetz, nicht hingegen die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Nur in der Geschäftsordnung gewährleistete Rechte können für sich genommen im Organstreit nicht geltend gemacht werden. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert den Abgeordneten des Deutschen Bundestages die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Befugnisse zur gleichberechtigten Mitwirkung an der Willensbildung und Entscheidungsfindung des Bundestages. Als politische Kräfte sind die Fraktionen ebenso gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln. Die Mitwirkungsbefugnis der Abgeordneten erstreckt sich auch auf die Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Grundsätzlich muss jeder Ausschuss, soweit er Aufgaben des Plenums übernimmt beziehungsweise dessen Entscheidungen vorbereitet, ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung dessen Zusammensetzung widerspiegeln. Dies erfordert eine möglichst getreue Abbildung der Stärke der im Plenum vertretenen Fraktionen.

Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gilt hingegen nicht für Gremien und Funktionen, die lediglich organisatorischer Art sind und daher nicht dem Einfluss des Prinzips gleichberechtigter Teilnahme an den dem Bundestag nach dem Grundgesetz übertragenen Aufgaben unterliegen. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG begründet folglich für sich genommen keinen Anspruch auf Zugang zu Leitungsämtern, bei denen es nicht zur inhaltlichen Vorformung der parlamentarischen politischen Willensbildung kommt. Daraus folgt, dass sich gerade die Beschränkung der Vergabe von Vorsitzen in Ausschüssen durch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages im Rahmen der dem Bundestag zustehenden Geschäftsordnungsautonomie hält. Bei dem Zugang zum Amt des Ausschussvorsitzes handelt es sich nicht um ein spezifisch mitgliedschaftliches Recht. Allerdings bleibt der Deutsche Bundestag auch jenseits der Mitwirkung der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse an der parlamentarischen Willensbildung im engeren Sinne und an den Organisationsentscheidungen des Bundestages dem Grundsatz der Gleichheit verpflichtet. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG begründet einen Status formaler Gleichheit der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse. Der Gehalt des Gleichheitsgrundsatzes erschöpft sich nicht in einem rein objektiven Rechtssatz. Er prägt den Status der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse und vermittelt ihnen daher ein Recht, diesem Grundsatz entsprechend behandelt zu werden. Seinen Ausdruck findet dieser verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch unter anderem im Recht der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse auf eine faire und loyale Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Indem sich der Bundestag eine Geschäftsordnung gibt, bindet er sich selbst und ist gehalten, von ihm eingeräumte Rechte gleichmäßig und sachgemäß zur Geltung zu bringen. Der Gleichbehandlungsanspruch erstreckt sich daher – als Teilhabeanspruch – auch auf jene Beteiligungsrechte, die über die unmittelbar in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG wurzelnden spezifischen Statusrechte der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse hinausgehen.

Gericht betont große Autonomie des Bundestags

Nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG kommt es dem Deutschen Bundestag zu, kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie über seine innere Organisation und sein Verfahren zu entscheiden. Bei der Gestaltung hat er einen weiten Spielraum. Hierbei sind nicht nur Erlass, sondern auch Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung grundsätzlich dem Bundestag selbst überantwortet. Einschränkungen der dem Mandat entspringenden spezifischen Mitwirkungsbefugnisse der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse durch die Geschäftsordnung unterliegen besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen. Ist demgegenüber nicht ein unmittelbar in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verankertes spezifisches mitgliedschaftliches Recht betroffen, sondern geht es allein um den formalen Status der Gleichheit der Abgeordneten in Form der Teilhabe an Rechtspositionen, die erst die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einräumt, findet eine verfassungsgerichtliche Überprüfung lediglich dahingehend statt, ob die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung oder ihre Auslegung und Anwendung jedenfalls nicht evident sachwidrig und damit willkürlich sind. An diesen Maßstäben gemessen scheidet eine Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf Gleichbehandlung als Fraktion aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der fairen und loyalen Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages aus. Der Abgeordnetenstatus und daraus abgeleitet die Rechtsstellung der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisten kein Recht auf Besetzung von Ausschussvorsitzen. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit ist nicht auf die Leitungsämter des Deutschen Bundestages anzuwenden. Bei solchen Funktionen, die rein organisatorischer Art sind, kommt er nicht zum Tragen.

Die Antragstellerin kann indes aus dem Recht auf Gleichbehandlung der Abgeordneten und daraus abgeleitet ihrer Zusammenschlüsse in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG beanspruchen, bei der Bestimmung der Ausschussvorsitze in einer Weise behandelt zu werden, die einer fairen und loyalen Auslegung und Anwendung der Vorschriften der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages betreffend die Besetzung der Ausschussvorsitze entspricht. § 12 Satz 1 GO-BT bestimmt, dass die Positionen der Ausschussvorsitzenden nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zuzuweisen sind. Zugleich legt § 58 GO-BT fest, dass die Ausschüsse ihre Vorsitzenden „bestimmen“. Die Durchführung von Wahlen zum Ausschussvorsitz im Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss (2 BvE 10/21), deren Vorsitze der Antragstellerin nach § 12 GO-BT grundsätzlich zustehen, verletzen das Recht der Antragstellerin auf Gleichbehandlung nicht. Die Auslegung und Anwendung der Regelungen der §§ 12, 58 GO-BT in dem Sinne, dass Ausschussvorsitzende im Wege einer Mehrheitswahl durch die jeweiligen Ausschüsse bestimmt werden, wahren den Grundsatz einer fairen und loyalen Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages; sie sind nicht evident sachwidrig. Die Regelung des Besetzungsverfahrens der Ausschussvorsitze unterfällt der Geschäftsordnungsautonomie des Deutschen Bundestages. Die Ausgestaltung des Besetzungsverfahrens stellt sich als eine innere Angelegenheit des Parlaments dar, die dieses im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung autonom regeln kann. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das gewählte Leitungsmodell und seine geschäftsordnungsrechtliche Ausgestaltung (§§ 12, 58 GO-BT) diesen Rahmen überschritten haben. Die Auslegung der §§ 12, 58 GO-BT durch die betroffenen Ausschüsse ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese gehen davon aus, § 58 GO-BT sei so zu verstehen, dass die Ausschüsse dazu berufen seien, die Entscheidung über die Besetzung des Vorsitzes selbst zu treffen, und dass sie sich hierzu des Mittels der Wahl eines Ausschussmitglieds ohne weitere Einschränkungen bedienen könnten. Ein Benennungsrecht der Fraktionen besteht nach ihrer Ansicht nicht. Diese Auslegung ist nicht evident sachwidrig. Eine nach Maßgabe der Geschäftsordnung zulässige Wahl zur Besetzung eines parlamentarischen Leitungsamtes kann nur eine freie Wahl sein. Der mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe. Mit einer freien Wahl wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte. Die Mitwirkung einer Fraktion bei der Besetzung der Ausschussvorsitze im Deutschen Bundestag kann daher nach Maßgabe der Geschäftsordnung unter den Vorbehalt einer freien Wahl im Ausschuss gestellt werden. Sie ist dann darauf beschränkt, dass eine Fraktion einen Kandidaten für die Wahl vorschlagen kann und dass die freie Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird. Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine dem Grundsatz der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung widersprechende Anwendung der §§ 12, 58 GO-BT in den hier streitigen Fällen.

Auch Abwahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses zulässig

Auch die Abwahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses am 13. November 2019 (2 BvE 1/20) verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung. Der Rechtsausschuss durfte davon ausgehen, zur Abwahl seines Vorsitzenden grundsätzlich befugt zu sein. Er befand sich insoweit in Übereinstimmung mit der Auffassung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Dieser hatte in seiner Auslegungsentscheidung vom 7. November 2019, der sich das Plenum anschloss, die Ansicht vertreten, die Abwahl sei als Actus contrarius zu der Entscheidung, mit der ein Ausschuss seinen Vorsitz bestimme, auch ohne ausdrückliche Regelung in der Geschäftsordnung nach Maßgabe der §§ 58, 12 GO-BT zulässig. Verfassungsrechtlich sei das Amt des Ausschussvorsitzenden nicht in einer Weise geschützt, die einer Abberufung entgegenstehe. Dieses Verständnis der Geschäftsordnung ist nicht evident sachwidrig. Dem steht nicht entgegen, dass der Deutsche Bundestag die Abwahl der von der Fraktion DIE LINKE vorgeschlagenen Vizepräsidentin in Folge der Auflösung dieser Fraktion für unzulässig hielt. Eine unterschiedliche Handhabung der Abwahlmöglichkeit von Präsidiumsmitgliedern und Ausschussvorsitzenden ist jedenfalls nicht evident sachwidrig. Die Ämter der Präsidiumsmitglieder unterscheiden sich derart vom Amt des Ausschussvorsitzes, dass eine unterschiedliche Handhabung der Geschäftsordnung (§ 2 und §§ 58, 12) in Hinblick auf die Möglichkeit einer Abwahl jedenfalls vertretbar ist.

Die Handhabung der von der Geschäftsordnung zugelassenen Abwahlbefugnis durch den Rechtsausschuss begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Annahme, der Ausschuss selbst sei für eine etwaige Abwahlentscheidung zuständig, ist vertretbar und fügt sich in das vom Deutschen Bundestag vertretene Verständnis des § 58 GO-BT ein. Da sich danach die Abwahl als Actus contrarius zu dem Rechtsakt des „Bestimmens“ des Ausschussvorsitzes darstellt, ist die Annahme, der Ausschuss habe auch über die Abberufung zu entscheiden, folgerichtig. Das Verfahren im Rechtsausschuss vor der Entscheidung über den Abwahlantrag ist ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Mitglieder der Antragstellerin im Ausschuss hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde damit gewahrt. Der Ausschuss sprach sich mit einer Mehrheit von 37 Ja-Stimmen gegen 6 Nein-Stimmen für die Abwahl aus. Die für eine Abwahl genügende einfache Mehrheit (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG) wurde bei Weitem überschritten.

Im Übrigen ist die Abwahl nicht willkürlich. Dass ihr Erwägungen zugrunde gelegen hätten, die keinen sachlichen Zusammenhang zum Amt des Vorsitzes beziehungsweise zu der Befähigung des Vorsitzenden, sein Amt in angemessener Weise auszuüben, erkennen lassen, ist nicht ersichtlich. Vor dem Hintergrund einer Reihe von Vorfällen, die zu erheblichen Irritationen in der allgemeinen Öffentlichkeit, aber auch der Fachöffentlichkeit geführt hatten, kam die Ausschussmehrheit zu dem Schluss, der Vorsitzende des Rechtsausschusses werde sein Amt nicht in einer den Anforderungen des Amtes entsprechenden Weise ausüben und durch seine Person die Ausschussarbeit belasten. Die Ausschussmehrheit hatte erkennbar das Vertrauen in den Ausschussvorsitzenden und seine Fähigkeit zur amtsangemessenen Amtsführung verloren. Eine gedeihliche und effektive Zusammenarbeit im Ausschuss war damit aus ihrer Sicht nicht mehr möglich.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 19.09.2024
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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