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Der Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen das vollständige oder teilweise Verbot von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz („Schulschließungen“) nach der vom 22. April bis zum 30. Juni 2021 geltenden „Bundesnotbremse“ richten.
Die Anordnung von
Die Verfassungsbeschwerden bleiben ohne Erfolg. Das Verbot von Präsenzunterricht nach § 28 b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG verletzte nicht das Recht auf schulische Bildung. Das Verbot stellte einen Eingriff in das nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG geschützte Recht auf schulische Bildung dar. Das Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG enthält ein Recht gegenüber dem Staat, ihre Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten auch in der Gemeinschaft durch schulische Bildung gemäß dem Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zu unterstützen und zu fördern (Recht auf schulische Bildung). Der Schutzbereich dieses Rechts umfasst, soweit es nicht um die berufsbezogene Ausbildung geht, die Schulbildung als Ganze, also sowohl die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten wie auch Allgemeinbildung und schulische Erziehung. Es vermittelt den Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf Einhaltung eines für ihre chancengleiche Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten, enthält jedoch keinen originären Leistungsanspruch auf eine bestimmte Gestaltung von Schule. Dem Anspruch auf einen Mindeststandard schulischer Bildungsleistungen können zwar ausnahmsweise überwiegende Gründe des Schutzes von Verfassungsrechtsgütern entgegenstehen, nicht jedoch die staatliche Entscheidungsfreiheit bei der Verwendung knapper öffentlicher Mittel. Das Recht auf schulische Bildung umfasst auch ein Recht auf gleichen Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten im Rahmen des vorhandenen Schulsystems. Es enthält darüber hinaus ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen, welche das aktuell eröffnete und auch wahrgenommene Bildungsangebot einer Schule einschränken, ohne das vorhandene Schulsystem selbst zu verändern. Die zuletzt genannte abwehrrechtliche Gewährleistungsdimension des Rechts auf schulische Bildung ist hier berührt. Das Verbot von Präsenzunterricht stellte einen am Gebot der Verhältnismäßigkeit zu messenden Eingriff in dieses Recht dar, weil es allein der Bekämpfung der Pandemie diente und dabei das Schulsystem an sich mit dem Präsenzunterricht als Regelunterrichtsform unberührt ließ.
Das Verbot von Präsenzunterricht war formell und materiell
Das Verbot von Präsenzunterricht war zum Schutz der Bevölkerung vor infektionsbedingten Gefahren von Leib und Leben und zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems auch erforderlich. Das wäre nur dann nicht der Fall gewesen, wenn eindeutig festgestellt werden könnte, dass Infektionen durch die weniger belastende Alternative geöffneter Schulen mit regelmäßigen Tests und Hygienemaßnahmen mindestens gleich wirksam hätten bekämpft werden können wie durch ein Verbot von Präsenzunterricht. Die wissenschaftliche Erkenntnislage hierzu ist jedoch durch Unsicherheit geprägt. Zwar hat einer der sachkundigen Dritten in diesem Verfahren eine entsprechende Einschätzung abgegeben. Sie wird so von den übrigen Sachkundigen indes nicht geteilt. Mehrere sachkundige Dritte haben angemerkt, dass eine fundierte fachwissenschaftliche Bewertung nicht möglich sei, weil noch keine Daten zur Wirksamkeit der verschiedenen, bisher an Schulen ergriffenen Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung erhoben und ausgewertet worden seien. Dementsprechend sind deren Aussagen zur Wirksamkeit der beiden Alternativen auch eher vage. Ein Sachkundiger vertritt die Auffassung, das Infektionsgeschehen könne jedenfalls mit Antigen-Schnelltests in Schulen nicht gleich wirksam eingedämmt werden und flächendeckende PCR-Tests seien aus Kapazitätsgründen nicht möglich.
Das Verbot von Präsenzunterricht stand gemessen an der Sach- und Erkenntnislage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes nicht außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zwecken. Das Verbot von Präsenzunterricht beeinträchtigte das Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung allerdings schwerwiegend. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung geht davon aus, dass sich die vollständigen und partiellen
In dieser Situation durfte der Gesetzgeber annehmen, dass zwischenmenschliche Kontakte an den maßgeblichen Kontaktorten umfassend „heruntergefahren“ werden müssen, um Gefahren für Leben und Gesundheit und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems durch ein außer Kontrolle geratenes Infektionsgeschehen abwenden zu können. Insoweit ist das Verbot von Präsenzunterricht Teil eines Gesamtschutzkonzepts mit sich gegenseitig ergänzenden Maßnahmen. Die schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Rechts der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung durch den wegfallenden Präsenzunterricht standen nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten überragend bedeutsamen Gemeinwohlbelang des Schutzes von Leben und Gesundheit; der Ausgleich der gegenläufigen Interessen war insgesamt angemessen. Das Gesetz gab nicht einseitig nur dem Gemeinwohlbelang Vorrang. Dem besonderen Gewicht des Präsenzunterrichts für die Vermittlung schulischer Bildung als einer Grundbedingung für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten wurde dadurch Rechnung getragen, dass die Schulen - anders als andere Kontaktorte - nicht bereits bei Überschreiten einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100, sondern erst ab einem Wert von 165 geschlossen waren. Die Eingriffsintensität des Verbots von Präsenzunterricht wurde weiter dadurch gemindert, dass es den Ländern freistand, die Abschlussklassen und die Förderschulen hiervon auszunehmen. Darüber hinaus konnten die Länder eine Notbetreuung auch zu dem Zweck einrichten, denjenigen Schülern die Teilnahme am Distanzunterricht zu ermöglichen, die zuhause über keine geeignete Lernumgebung verfügten. Für die Zumutbarkeit der
Nach sachkundiger Einschätzung können jedenfalls ab der Sekundarstufe und bei guter digitaler Ausstattung des Schulbetriebs sowie angepassten pädagogischen Konzepten zumindest Fertigkeiten und Wissen auch durch Digitalunterricht erfolgreich vermittelt werden. Zwar konnte der Bundesgesetzgeber mangels schulrechtlicher Kompetenz nicht selbst dafür sorgen, dass die Eingriffsintensität seiner Anordnung des Wegfalls von Präsenzunterricht durch die Einrichtung von Distanzunterricht abgemildert wird. Es bedurfte insoweit jedoch keines eigenständigen gesetzlichen Interessenausgleichs, weil die Länder bereits nach Art. 7 Abs. 1 GG verpflichtet sind, den für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen unverzichtbaren Mindeststandard schulischer Bildung zu wahren. Wird dieser Mindeststandard wie hier aus überwiegenden Gründen des Schutzes von Leben und Gesundheit durch einen länger andauernden Wegfall des Präsenzschulbetriebs unterschritten, müssen die verbleibenden Möglichkeiten zur Wahrung dieses Standards genutzt werden. Daher mussten die Länder auch für die Dauer des bundesgesetzlich verfügten Verbots von Präsenzunterricht dafür sorgen, dass nach Möglichkeit Distanzunterricht stattfinden konnte. Soweit an einzelnen Schulen Distanzunterricht nicht in nennenswertem Umfang vorgesehen war, obwohl dem keine durchgreifenden Hindernisse personeller, sächlicher oder organisatorischer Art entgegenstanden, konnte jede Schülerin und jeder Schüler dieser Schulen auf der Grundlage des Rechts auf schulische Bildung entsprechende Vorkehrungen verlangen. Bei einer lange andauernden Gefahrenlage wie der Corona-Pandemie ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit anhaltender belastender Gefahrenabwehrmaßnahmen allerdings zu berücksichtigen, ob diese möglicherweise freiheitsschonender hätten ausgestaltet werden können, wenn der Staat an einer Verbesserung der wissenschaftlichen Erkenntnislage mitgewirkt hätte. Je länger belastende Regelungen in Kraft sind oder die Gefahrenlage andauert, umso fundierter müssen die Einschätzungen des Gesetzgebers sein, sofern genauere Kenntnisse hätten erlangt werden können. Indessen dürfte der Staat auch dann große Gefahren für Leib und Leben am Ende nicht deshalb in Kauf nehmen, weil er nicht genug zur Erforschung freiheitsschonender Alternativen beigetragen hat. Hingegen könnte etwa der Einwand, dass solche milderen Alternativen die Allgemeinheit finanziell stärker belasten, in der Abwägung an Gewicht verlieren.
Ein bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des Verbots von Präsenzunterricht durchschlagendes Versäumnis des Staates bei der Erkenntnisgewinnung kann hier nicht festgestellt werden. Zwar dauerte die Gefahrenlage bei Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ im April 2021 bereits über ein Jahr an und es hätten erste Möglichkeiten bestanden, Daten an den Schulen zu erheben, aus denen möglicherweise Erkenntnisse für eine freiheitsschonendere Bekämpfung von Infektionen in diesem Bereich hätten gewonnen werden können. Angesichts des dynamischen Infektionsgeschehens mit der Verbreitung neuer Virusvarianten kann jedoch nicht ohne weiteres angenommen werden, dass bei einer früheren Datenerhebung bereits im April 2021 fundiert hätte beurteilt werden können, ob Infektionen durch Tests in geöffneten Schulen mindestens gleich wirksam hätten eingedämmt werden können wie durch
Das Verbot von Präsenzunterricht verstieß auch nicht gegen das Familiengrundrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 GG. Den Eltern schulpflichtiger Kinder stand aus dem Familiengrundrecht nach Art. 6 Abs. 1 GG kein Abwehrrecht gegen das Verbot von Präsenzunterricht wegen der damit verbundenen zusätzlichen Betreuungsleistungen oder sonstiger Belastungen des Familienlebens und der beruflichen Tätigkeit zu. Diese Belastungen sind nicht das Ergebnis eines mittelbar-faktischen Eingriffs in das Familiengrundrecht. Das allein der Eindämmung von Infektionen dienende Verbot von Präsenzunterricht war nicht darauf ausgerichtet, das Familienleben der Eltern schulpflichtiger Kinder oder deren Möglichkeiten zu beruflicher Tätigkeit zu ändern. Die Belastungen des Familienlebens waren daher nur eine ungewollte Nebenfolge der
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 30.11.2021
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)
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