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Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) hatte mit einem Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht teilweise Erfolg, in dem es um die Bildberichterstattung im so genannten "Koma-Saufprozess" ging.
Die Beschwerdeführerin betreibt eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Sie berichtet seit Prozessauftakt in ihrem Fernsehprogramm über ein Strafverfahren am Landgericht Berlin. Das Strafverfahren richtet sich gegen den früheren Gastwirt einer Berliner Gaststätte. Ihm wird vorgeworfen, fährlässig den Tod eines 16-jährigen Jugendlichen durch ein sog. Wetttrinken verursacht zu haben. Er soll sich selbst während dieses Wetttrinkens - anders als dem Geschädigten - teilweise Wasser statt Tequila serviert haben lassen. Das Geschehen und das sich anschließende Strafverfahren fanden in der Öffentlichkeit im Zuge der Diskussion um das gesellschaftliche Problem des "Koma-Saufens" Jugendlicher bundesweite Beachtung und ein erhebliches Medieninteresse.
Der Vorsitzende der Strafkammer 22 des Landgerichts Berlin erließ zur Vorbereitung und im Rahmen des Strafverfahrens verschiedene sitzungspolizeiliche Anordnungen. Darin ordnete er unter anderem an, dass an den Verhandlungstagen im Gerichtssaal und im davor liegenden Sicherheitsbereich Film- und Tonaufnahmen sowie Fotoaufnahmen vor Beginn der Hauptverhandlung angefertigt werden dürfen. Die Anfertigung solcher Aufnahmen in den Verhandlungspausen und nach Ende der Sitzung wurde dagegen untersagt. Eine spätere Verfügung gestattete dem Angeklagten und seinem Verteidiger von Beginn der Hauptverhandlung dann, den Sitzungssaal durch einen Gefangenenaufgang zu betreten. Weiterhin ordnete der Vorsitzende an, dass Bildaufnahmen vom Angeklagten nur in anonymisiertem Zustand veröffentlicht werden dürfen und im Falle der Zuwiderhandlung den betreffenden Medienorganen die Anfertigung von Bildaufnahmen untersagt wird. Darüber hinaus stellte er fest, dass der Angeklagte und sein Verteidiger nicht gezwungen werden, sich vor Aufruf der Sache im Sitzungssaal aufzuhalten und sich Foto- oder Filmaufnahmen zu stellen. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde und ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen diese sitzungspolizeilichen Anordnungen.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts setzte die Verfügungen im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, in ihrer Wirksamkeit aus, soweit darin die Anfertigung von Bild- und Fernsehaufnahmen während der Verhandlungspausen und nach Ende der Sitzungen untersagt wird. Im Übrigen lehnte die Kammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Bei der im Rahmen einer einstweiligen Anordnung gebotenen Folgenabwägung überwiegt das Interesse der Beschwerdeführerin an einer Berichterstattung, soweit der Vorsitzende über die Anonymisierungsanordnung hinaus eine Verfahrensgestaltung gewählt hat, die im Ergebnis das Anfertigen jeglicher Fernsehbilder vom Angeklagten und seinem Verteidiger unterbindet. Allerdings führt die Folgenabwägung auch zu einem Überwiegen der drohenden Beeinträchtigungen des Angeklagten gegenüber der Beschränkung der Berichterstattung, soweit die Anonymisierung von ihm gefertigter Lichtbilder in Rede steht.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich aber die Verfassungsbeschwerde als begründet, so könnte eine Fernsehbildberichterstattung über das Strafverfahren nur äußerst begrenzt stattfinden. Nicht nur die Untersagung der Bildberichterstattung am Rande der Hauptverhandlung - wie hier in Pausen und am Ende der Sitzungen - kann die Rundfunkfreiheit berühren, sondern auch die Art der Verhandlungsführung, soweit sie auf die Verwirklichung der Pressefreiheit und die Möglichkeit der Befriedigung eines Informationsinteresses der Öffentlichkeit zurückwirkt. Das ist hier durch die Ermöglichung des Zugangs des Angeklagten und seines Verteidigers durch einen besonderen Eingang nach Eröffnung der Hauptverhandlung der Fall. Darüber hinaus kann auch in der Anordnung einer Anonymisierung gefertigter Fernsehbilder vom Angeklagten eine gewichtige Beschränkung von Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit liegen.
Bei der Gewichtung der Nachteile ist in Bezug auf die Pressefreiheit nicht nur die Schwere der Tat, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit zu berücksichtigen, die das Strafverfahren etwa aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen gewonnen hat. Die besonderen Umstände der hier in Rede stehenden Straftat sowie die über diese konkrete Tat hinausreichende aktuelle öffentliche Diskussion um den übermäßigen Alkoholgenuss Jugendlicher begründen ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem in Rede stehenden Strafverfahren. Daneben führen die Verwerflichkeit der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat, ihre besonderen Umstände sowie ihre schweren Folgen zu einem gesteigerten Informationsinteresse auch an der Person des Angeklagten und seines Verteidigers.
Mit den angegriffenen Maßnahmen wird zwar die Berichterstattung über das Gerichtsverfahren in fernsehtypischer Weise durch aktuelle Film- und Tonaufnahmen aus dem Gerichtssaal in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten am Rande der mündlichen Verhandlung nicht vollständig untersagt. Die dabei auferlegten Beschränkungen der Bildberichterstattungsmöglichkeiten stellten angesichts des aufgezeigten Berichterstattungsinteresses aber einen Nachteil von erheblichem Gewicht dar. In Zusammenwirken mit dem Ausschluss der Bildberichterstattung in Pausen und am Ende der Sitzungen wird es der Beschwerdeführerin unmöglich gemacht, Fernsehbilder vom Angeklagten und seinem Verteidiger anzufertigen. Die dieses herbeiführenden Maßnahmen können nicht isoliert betrachtet werden, sondern bilden auch nach dem Willen des Vorsitzenden eine Einheit, die darauf gerichtet ist, eine Bildberichterstattung vom Angeklagten und seinem Verteidiger insgesamt zu unterbinden. Hierin liegen eine gewichtige Beschränkung von Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit und zugleich ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG.
Erginge die einstweilige Anordnung dagegen im beantragten Umfang, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, wären Filmaufnahmen vom Angeklagten und seinem Verteidiger im Umkreis des Strafverfahrens gefertigt und verbreitet worden, auf die weder die Beschwerdeführerin noch die Öffentlichkeit Anspruch hatten. Die hieraus nach dem bisherigen Sachstand zu erwartenden Nachteile für den geordneten Ablauf der Sitzung sowie für das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten und seines Verteidigers wiegen indes nicht so schwer, als dass sie eine Beschränkung der Bildberichterstattung über die Anordnung der Anonymisierung vom Angeklagten gefertigter Aufzeichnungen hinaus rechtfertigten, die jegliche Möglichkeit der Presse, vom Angeklagten und seinem Verteidiger Fernsehbilder anzufertigen, unterbindet.
Dagegen überwiegt das Interesse der Beschwerdeführerin an einer Berichterstattung, soweit der Vorsitzende über die Anonymisierungsanordnung hinaus eine Verfahrensgestaltung gewählt hat, die bereits das Anfertigen jeglicher Fernsehbilder vom Angeklagten und seinem Verteidiger verhindert. Nach dem bisher erkennbaren Sachstand sind keine Umstände für eine Gefährdung des Persönlichkeitsrechts des Angeklagten oder seines Verteidigers beziehungsweise für eine Gefährdung für den ungestörten Verfahrensablauf erkennbar, deren Abwehr eine solch weitgehende Einschränkung der Bildberichterstattungsmöglichkeiten als geboten erscheinen lassen.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 08.04.2009
Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht
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Dokument-Nr. 7709
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