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Beobachtet jemand von der Ferne Demonstrationen und wird dabei von der Polizei unzulässigerweise für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen, stellt dies einen rechtswidrigen Freiheitsentzug dar. Eine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde ist somit zulässig. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht.
Die Beschwerdeführer hielten sich im November 2001 im Wendland auf, weil sie die Demonstrationen anlässlich eines Castortransports in das Zwischenlager Gorleben beobachten wollten. Für einen Korridor von 50 Metern beiderseits der Bahnstrecke war ein Demonstrationsverbot verhängt. Die Beschwerdeführer saßen an diesem Tag in einer Entfernung von ca. 3 km von den Bahnschienen in ihrem Auto, wo sie von Polizeibeamten angetroffen wurden. Die Polizeibeamten nahmen beide Beschwerdeführer zusammen mit ca. 70 anderen Bürgern in Gewahrsam, aus dem die Beschwerdeführer erst mehrere Stunden später entlassen wurden. Das Amtsgericht Uelzen stellte auf Antrag der Beschwerdeführer im März 2007 die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung fest. Mit einer bereits im Juli 2004 erhobenen Amtshaftungsklage gegen das Land Niedersachsen und die Bundesrepublik Deutschland beim Landgericht in Lüneburg begehrten sie zudem unter anderem die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung wegen der erlittenen rechtswidrigen Freiheitsentziehung. Die Klage und die Berufung blieben erfolglos. Die Beschwerdeführer rügen, dass die angegriffenen Entscheidungen über ihre Amtshaftungsklage Bedeutung und Tragweite der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 sowie Art. 1 Abs. 1, auch in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG grundlegend verkannt hätten, auch indem sie die herabwürdigenden Umstände der Ingewahrsamnahme nicht berücksichtigt hätten.
Das Bundesverfassungsgericht hob die Urteile des Landgerichts Lüneburg und des Oberlandesgerichts Celle auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Sie verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, weil sie bei der Versagung eines Amtshaftungsanspruchs nicht berücksichtigt haben, dass schon die Voraussetzungen für die freiheitsentziehende Maßnahme selbst nicht gegeben waren. Außerdem haben die Gerichte die Umstände des Gewahrsamvollzugs bei der Versagung des Schmerzensgeldes in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise außer Acht gelassen.
Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung immaterieller Grundrechtspositionen muss nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet, weil anderenfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes der Persönlichkeit zu befürchten wäre. Es begegnet daher keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass eine Geldentschädigung wegen der Verletzung immaterieller Persönlichkeitsbestandteile nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Schwere und des Fehlens einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit beansprucht werden kann.
Die Gerichte haben ihre Auffassung, dass die von den Beschwerdeführern erlittene Rechtseinbuße durch die vom Amtsgericht festgestellte Rechtswidrigkeit des Gewahrsams hinreichend ausgeglichen sei, allein auf eine Würdigung der Umstände der Durchführung des Gewahrsams gestützt. Demgegenüber wird die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch die rechtswidrige Freiheitsentziehung selbst, unabhängig von den Bedingungen ihres Vollzuges, in den angegriffenen Entscheidungen zwar erwähnt, aber nicht sachhaltig gewichtend in die gebotene Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles einbezogen. Sie gibt dem vorliegenden Fall aber gerade sein wesentliches Gepräge und unterscheidet ihn von den durch die Gerichte zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen, in denen es allein um die Bedingungen beim Vollzug einer an sich gerechtfertigten Freiheitsentziehung ging.
Darüber hinaus genügen auch die Erwägungen der Gerichte zur rechtlichen Würdigung der Umstände des Gewahrsamsvollzugs ihrerseits nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. So ist insbesondere zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht in der mindestens zehnstündigen Festsetzung der Beschwerdeführer keine nachhaltige Beeinträchtigung gesehen hat, ohne die abschreckende Wirkung zu erwägen, die einer derartigen Behandlung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten — namentlich die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Teilnahme an Demonstrationen oder deren von Art. 2 Abs. 1 GG umfasste Beobachtung — zukommen konnte und die der Rechtsbeeinträchtigung ein besonderes Gewicht verleihen kann.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 02.12.2009
Quelle: ra-online, BVerfG
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Dokument-Nr. 8857
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