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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden. Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe schaffen. Bis zu einer Neuregelung darf ein Tarifvertrag im Fall einer Kollision im Betrieb nur verdrängt werden, wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat. Das Gesetz bleibt mit dieser Maßgabe ansonsten weiterhin anwendbar. Die Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 2018 zu treffen.
Das Tarifeinheitsgesetz regelt Konflikte im Zusammenhang mit der Geltung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb. Es ordnet an, dass im Fall der Kollision der
Mit den nun entschiedenen Verfassungsbeschwerden wenden sich Berufsgruppengewerkschaften, Branchengewerkschaften, ein Spitzenverband sowie ein Gewerkschaftsmitglied unmittelbar gegen das Tarifeinheitsgesetz und rügen vornehmlich eine Verletzung der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG).
Das Bundesverfassungsgericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG in erster Linie ein Freiheitsrecht ist. Es schützt alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere die
Die Regelung zur
Dagegen wird das in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Recht, mit den Mitteln des Arbeitskampfes auf den jeweiligen Gegenspieler Druck und Gegendruck ausüben zu können, um zu einem Tarifabschluss zu gelangen, durch das Tarifeinheitsgesetz nicht angetastet. Die Unsicherheit im Vorfeld eines Tarifabschlusses über das Risiko, dass ein
Art. 9 Abs. 3 GG berechtigt den Gesetzgeber, das Verhältnis der sich gegenüber stehenden Tarifvertragsparteien zu regeln, um strukturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Tarifverhandlungen einen fairen Ausgleich ermöglichen und damit angemessene Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen hervorbringen können. Zur Funktionsfähigkeit der
Die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes sind in der verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung und Handhabung weitgehend mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. Zweck des Gesetzes ist es, Anreize für ein kooperatives Vorgehen der Arbeitnehmerseite in Tarifverhandlungen zu setzen und so Tarifkollisionen zu vermeiden. Damit verfolgt der Gesetzgeber das legitime Ziel, zur Sicherung der strukturellen Voraussetzungen von Tarifverhandlungen das Verhältnis der Gewerkschaften untereinander zu regeln. Die angegriffenen Regelungen sind geeignet, dieses Ziel zu erreichen, auch wenn nicht gewiss ist, dass der gewollte Effekt tatsächlich eintritt. Es bestehen auch keine verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken gegen ihre Erforderlichkeit. Jedenfalls steht kein zweifelsfrei gleich wirksames, Gewerkschaften und ihre Mitglieder aber weniger beeinträchtigendes Mittel zur Verfügung, um die legitimen Ziele zu erreichen. Der Gesetzgeber hat den ihm hier zustehenden Beurteilungs- und Prognosespielraum nicht verletzt.
Die mit dem Tarifeinheitsgesetz verbundenen Belastungen sind in einer Gesamtabwägung überwiegend zumutbar, wenn ihnen durch eine restriktive Auslegung der Verdrängungsregelung (§ 4 a Abs. 2 TVG), ihrer verfahrensrechtlichen Einbindung sowie durch eine weite Interpretation des Nachzeichnungsanspruchs Schärfen genommen werden.
Das Gewicht der Beeinträchtigung durch die Regelungen ist dadurch relativiert, dass es die Betroffenen in gewissem Maße selbst in der Hand haben, ob es zur Verdrängungswirkung kommt oder nicht. Die Verdrängungsregelung ist tarifdispositiv; allerdings müssen dazu alle betroffenen Tarifvertragsparteien vereinbaren, dass die Kollisionsnorm nicht zur Anwendung kommt.
Zudem ist die Verdrängungswirkung im Fall der Tarifkollision im Betrieb schon nach der gesetzlichen Regelung mehrfach beschränkt. Darüber hinaus sind die Arbeitsgerichte gehalten, Tarifverträge im Kollisionsfall so auszulegen, dass die durch eine
Um unzumutbare Härten zu vermeiden, dürfen bestimmte tarifvertraglich garantierte Leistungen nicht verdrängt werden. Das betrifft längerfristig bedeutsame Leistungen, auf die sich Beschäftigte in ihrer Lebensplanung typischerweise einstellen und auf deren Bestand sie berechtigterweise vertrauen, wie beispielsweise Leistungen zur Alterssicherung, zur Arbeitsplatzgarantie oder zur Lebensarbeitszeit. Der Gesetzgeber hat dafür keine Schutzvorkehrungen getroffen. Hier müssen die Gerichte von Verfassungs wegen sicherstellen, dass die
Die beeinträchtigende Wirkung wird auch durch die Auslegung der Kollisionsregelung gemildert, wonach die
Die Belastungswirkungen der
Die Beeinträchtigung der Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG wird auch durch Verfahrens- und Beteiligungsrechte der von der
Die Ungewissheit des Arbeitgebers über die tatsächliche Durchsetzungskraft einer Gewerkschaft aufgrund deren Mitgliederstärke ist für die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Parität zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberseite von besonderer Bedeutung. Das neu geregelte Beschlussverfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 6, § 99 ArbGG geht mit dem Risiko einher, dass es zur Offenlegung der Mitgliederstärke der Gewerkschaften kommt. Die Fachgerichte müssen die prozessrechtlichen Möglichkeiten nutzen, um dies möglichst zu vermeiden. Wenn dies nicht in allen Fällen gelingt, ist das mit Blick auf das gesetzgeberische Ziel jedoch insgesamt zumutbar.
Die mit der
Die teilweise Verfassungswidrigkeit des § 4 a TVG führt nicht zu dessen Nichtigerklärung, sondern nur zur Feststellung seiner Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Die Defizite betreffen nicht den Kern der Regelung. Die strukturellen Rahmenbedingungen der Aushandlung von Tarifverträgen, auf die der Gesetzgeber hier zielt, sind dagegen von großer Bedeutung. Bis zu einer Neuregelung darf die Vorschrift daher nur mit der Maßgabe angewendet werden, dass eine Verdrängungswirkung erst in Betracht kommt, wenn plausibel dargelegt werden kann, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen der Berufsgruppen, deren
Richter Paulus und Richterin Baer sind sich mit dem Senat hinsichtlich der Anforderungen einig, die aus dem Freiheitsrecht des Art. 9 Abs. 3 GG für Regelungen zur Sicherung der
Der Gesetzgeber darf auf Erosionen der Tarifbindung reagieren und Regelungen in Kraft setzen, die das Freiheitsrecht des Art. 9 Abs. 3 GG in verhältnismäßiger Weise beschränken. Er darf aber weder auf eine Vorstellung "widerspruchsfreier Ordnung" noch auf eine Einheitsgewerkschaft zielen oder Arbeitgeber vor vielfachen gewerkschaftlichen Forderungen zu schützen suchen.
Das Urteil beruht jedoch auf Einschätzungen der sozialen Wirklichkeit, an denen Zweifel bestehen. Weder substantiiert noch sonst belegt worden ist die These, derzeit in Tarifkollision ausgehandelte Löhne würden als ungerecht empfunden, was den Betriebsfrieden störe. Nicht zu übersehen ist auch, dass es an Kooperation zwischen Gewerkschaften aus Gründen fehlt, denen das Urteil zu wenig Bedeutung beimisst. Tarifpluralität ist Ausfluss grundrechtlicher Freiheit und insbesondere von Arbeitgebern oft gewollt, Kollisionen selten und Konflikte Teil spezifischer Entwicklungen. Es gibt seit langem klärende Verbandsverfahren. Nicht übersehen werden kann, dass die angegriffenen Regelungen auf einen einseitigen politischen Kompromiss zurückgehen, und der Gesetzgeber nicht nur scharf sanktioniert, sondern auch strukturell einseitig vorgeht.
Es ist fraglich, ob die angegriffenen Regelungen geeignet sind, das Ziel der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesetzgeber heftigere Konkurrenzen und Statuskämpfe in einzelnen Betrieben provoziert, erscheint hoch. Auch an der Erforderlichkeit des Tarifeinheitsgesetzes bestehen erhebliche Zweifel. Die angeführte Änderung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat nicht dazu geführt, dass die Funktionsfähigkeit der
Das Tarifeinheitsgesetz ist nicht nur hinsichtlich des Berufsgruppenschutzes im anwendbaren
Das Urteil geht zu Recht davon aus, dass es mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar wäre, wenn die Kollisionsregelung auch zum Verlust langfristig angelegter, die Lebensplanung der Beschäftigten berührender Ansprüche aus einem
Hinter der Annahme der Senatsmehrheit, die Nachzeichnung eines Tarifvertrags einer anderen Gewerkschaft halte den Verlust des eigenen Tarifvertrags in Grenzen, steht eine gefährliche Tendenz, die Interessen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als einheitlich aufzufassen. Die Vorstellung, es komme nicht auf den konkret ausgehandelten Vertrag an, solange überhaupt eine Tarifbindung bestehe, privilegiert in der Sache die großen Branchengewerkschaften. Dies widerspricht dem Grundgedanken des Art. 9 Abs. 3 GG, der auf das selbstbestimmte tarifpolitische Engagement von Angehörigen jedweden Berufes setzt.
Das Urteil eröffnet die Möglichkeit, dass im gerichtlichen Beschlussverfahren die Mehrheitsverhältnisse der Gewerkschaften in einem Betrieb offengelegt werden. Solange der Gesetzgeber keine Vorkehrungen trifft, die damit einhergehende Verschiebung der Kampfparität zu verhindern, ist auch dies nicht zumutbar.
Das Bundesverfassungsgericht ist sich zwar einig, dass eine Regelung, die keinerlei Rücksicht auf die spezifischen Interessen und Bedürfnisse derjenigen nimmt, deren Tarifverträge in einem Betrieb verdrängt werden, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dann kann jedoch die insoweit verfassungswidrige Norm nicht mehr fortgelten. Die Nichtigkeit als Regelfolge ist zwar hart, aber eindeutig normiert; die anerkannten Gründe für die ausnahmsweise Fortgeltung verfassungswidriger Normen liegen nicht vor. Daher hätte das Tarifeinheitsgesetz jedenfalls insoweit für verfassungswidrig und nichtig erklärt werden müssen; § 4 a Abs. 2 Satz 2 TVG wäre bis zu einer Neuregelung unanwendbar. Wo der Gesetzgeber die Weichen für eine zumutbare Einschränkung der Koalitionsfreiheit nicht gestellt hat, ist er selbst gefragt. Der Senat verlangt nun von den Fachgerichten die Überprüfung der sachlichen Angemessenheit von Tarifverträgen. Hingegen vertraut Art. 9 Abs. 3 GG der eigenverantwortlich wahrgenommenen Freiheit der Tarifvertragsparteien.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 11.07.2017
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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