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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der bis 31. Dezember 2022 geltenden Fassung (a.F.) und die wortlautidentische ab 1. Januar 2023 geltende Vorschrift des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB (n.F.) teilweise mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sind. Die ausnahmslose Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist zur Neuregelung spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 verpflichtet. Bis zu einer Neuregelung gilt das bisherige Recht fort.
Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen eines Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), kann ein Betreuer in die ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen. Die Einwilligung, die der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedarf, setzt nach der bisherigen Regelung unter anderem die Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus voraus.
Dieser Krankenhausvorbehalt ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG unvereinbar, soweit Betreuten aufgrund der ausnahmslosen Vorgabe,
Die Entscheidung ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen. Richter Wolff hat ein Sondervotum abgegeben.
Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), kann ein Betreuer mit entsprechendem Aufgabenkreis in die ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen. Die Voraussetzungen für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme legt § 1906 a Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. beziehungsweise § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. fest. Eine der Voraussetzungen besteht darin, dass die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird.
Die Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts (§ 1906 a Abs. 2 BGB a.F., § 1832 Abs. 2 BGB n.F.). Auch in eine etwaig notwendige Verbringung des Betreuten zu einem stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus gegen seinen natürlichen Willen zum Zweck der ärztlichen Zwangsmaßnahme kann der Betreuer einwilligen; diese Einwilligung steht ebenfalls unter betreuungsgerichtlichem Genehmigungsvorbehalt.
Mit der Einführung von § 1906 a BGB a.F. wollte der Gesetzgeber eine vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Schutzlücke schließen. Das Bundesverfassungsgericht befand mit Beschluss vom 26. Juli 2016 (BVerfGE 142, 313), dass Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Gesetzgeber verpflichte, ein System der Hilfe und des Schutzes für unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen, die die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr oder Bekämpfung erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln könnten. Dabei müssten strenge materielle und verfahrensrechtliche Anforderungen an eine solche
Die psychisch schwer erkrankte Betroffene wendet sich im Ausgangsverfahren gegen die Versagung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, ihre zwangsweise ärztliche Behandlung mit einem Neuroleptikum statt in einem Krankenhaus in dem von ihr bewohnten Wohnverbund durchzuführen. Für sie ist seit dem Jahr 2000 eine Betreuung, unter anderem für die Gesundheitssorge und die Aufenthaltsbestimmung eingerichtet. Die Beschwerde gegen die zurückweisende Entscheidung des Betreuungsgerichts war erfolglos. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob es mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist, dass § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme die Durchführung der Maßnahme in einem Krankenhaus auch bei solchen Betroffenen voraussetzt, die aus medizinischer Sicht gleichermaßen in der Einrichtung, in der sie untergebracht sind und in der ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, zwangsbehandelt werden könnten und die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden.
§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. ist teilweise mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG unvereinbar.
I. Die Regelung greift in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG ein. Die Bindung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus mit näher bestimmtem Versorgungsniveau ist zwar grundsätzlich zulässig. Die ausnahmslose Vorgabe,
1. Die von der beanstandeten Regelung ausgehenden Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit müssen wie ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht nicht einwilligungsfähiger Betreuter in Bezug auf ihre körperliche Integrität behandelt werden. Mit der beanstandeten Regelung zielt der Staat auf die Überwindung eines der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus entgegenstehenden natürlichen Willens ab und übernimmt durch das zwingende Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung die Mitverantwortung für Beeinträchtigungen des Selbstbestimmungsrechts und der körperlichen Integrität.
a) Mit der beanstandeten gesetzlichen Regelung verfolgt der Gesetzgeber verfassungsrechtlich legitime Zwecke, zu deren Erreichung die Regelung im verfassungsrechtlichen Sinne auch geeignet und erforderlich ist.
Als legitimen Zweck eines Eingriffs in die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG geschützte körperliche Unversehrtheit nicht einwilligungsfähiger Betreuter hat das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz die Erfüllung einer staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber ebendiesen Betreuten anerkannt. Diese Schutzpflicht gibt dem Staat auf, hilfsbedürftigen Menschen, die bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit ärztlicher Maßnahmen nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, unter engen Voraussetzungen als ultima ratio auch unter Überwindung ihres entgegenstehenden natürlichen Willens Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren. Danach muss der Gesetzgeber für Fälle, in denen drohende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich einer Lebensgefahr durch nicht zu eingriffsintensive Behandlungen mit hohen Erfolgsaussichten abgewehrt werden können, die Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme gegenüber nicht einwilligungsfähigen Betreuten vorsehen. Mit dem Krankenhausvorbehalt verfolgt der Gesetzgeber den verfassungsrechtlich legitimen Zweck, bei der Umsetzung seiner Schutzpflicht materielle und verfahrensrechtliche Sicherungen zu gewährleisten. Diese ihrerseits durch grundrechtliche Schutzpflichten unterlegten Sicherungen bestehen darin, Betroffene in ihrem privaten Wohnumfeld vor
b) Die ausnahmslose Vorgabe,
aa) Das Gewicht des mit der beanstandeten Regelung verbundenen Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Integrität ist hoch, in Einzelfällen sogar sehr hoch. Jede ärztliche Zwangsmaßnahme überwindet einen der Durchführung der Maßnahme entgegenstehenden natürlichen Willen der betroffenen Betreuten. Durch die zwingende Vorgabe eines stationären Krankenhausaufenthalts ist es Betroffenen verwehrt, auf den Durchführungsort Einfluss zu nehmen oder die ärztliche Zwangsmaßnahme durch einen Behandelnden ihres Vertrauens durchführen zu lassen. Das Eingriffsgewicht weiter erhöhen können Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität durch die konkreten ärztlichen Maßnahmen, durch einen Umgebungswechsel zum Beispiel bei an Demenz erkrankten Patientinnen und Patienten, durch ein gesteigertes Ansteckungsrisiko mit spezifischen Infektionskrankheiten bei einem Aufenthalt in einem Krankenhaus, durch eine Entfremdung von der gewohnten Umgebung oder durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs zum Zweck der Verbringung in das Krankenhaus. bb) Die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke sind allerdings von hohem Gewicht. Besonders bedeutsam ist das mit der Umsetzung dieser Schutzpflichten verfolgte Ziel sicherzustellen, dass die Möglichkeit ärztlicher
cc) In der Gesamtabwägung ist der Eingriff unangemessen, soweit Betreuten im Einzelfall aufgrund der ausnahmslosen Vorgabe, dass
dd) Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Unangemessenheit des mit § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. verbundenen Eingriffs über Hauptsacheverfahren hinaus auch für Verfahren der einstweiligen Anordnung mit ihrem abgesenkten Prüfungsmaßstab bei der Sicherung des ultima-ratio-Gebots zu bejahen ist, bleibt in dieser Entscheidung offen.
II. In diesem Umfang ist die Unvereinbarkeit des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG auszusprechen. Die teilweise Unvereinbarkeitserklärung ist auf die inhaltsgleiche Nachfolgenorm des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB n.F. zu erstrecken. Bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, die spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 zu treffen ist, gilt das bisherige Recht fort.
Die Entscheidung ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen.
Der Auffassung des Senats, aus dem Abwehrrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG ergebe sich die Notwendigkeit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine ambulante
1. Ich stimme der Senatsmehrheit insoweit zu, als Fallgestaltungen denkbar sind, in denen die vom Gesetzgeber als zwingende gesetzliche Voraussetzung für eine medizinische
2. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG fordert als Abwehrrecht aber zunächst nur, dass der unverhältnismäßige Eingriff – hier die Behandlung in einem Krankenhaus – unterbleiben muss. Als Abwehrrecht fordert Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG nicht, dass der Gesetzgeber die Rechtsgrundlage für einen Eingriff schaffen muss, der diese Unverhältnismäßigkeit vermeidet. Unterbleibt der Eingriff insgesamt, entfällt auch die mit ihm verbundene Unverhältnismäßigkeit. Die vorgelegte gesetzliche Regelung gewährleistet daher ausreichenden Schutz vor unverhältnismäßigen Eingriffen und ist insoweit verfassungsgemäß.
3. Ein Anspruch auf Schaffung einer Eingriffsgrundlage für eine ambulante
Mit § 1906 a BGB a.F. hat der Gesetzgeber ein System der Hilfe und des Schutzes für unter Betreuung stehende Menschen, die die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr oder Bekämpfung erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln können, geschaffen. Dies genügt wegen des Spielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Regeln grundsätzlich.
Angesichts der unsicheren Tatsachengrundlage hinsichtlich der Belastungswirkungen des Eingriffs, der möglichen Erfolge der in Rede stehenden Behandlungen, der Belastungswirkung der Verbringung ins Krankenhaus, der Belastungswirkung der in Rede stehenden Alternativbehandlungen und der sich hieraus ergebenden Risiken sowie der Uneinigkeit der sachverständigen Gruppen sehe ich mich nicht in der Lage, eine die Schutzpflicht verletzende, offensichtlich ungeeignete oder völlig unzulängliche Rechtslage anzunehmen. Durch die Einführung weiterer (auch noch so eng gefasster) Formen der
Die fehlende Durchführbarkeit der medizinischen
Dies zugrunde gelegt, wäre auf die Vorlage des Bundesgerichtshofs zu antworten, dass die vorgelegte Norm (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F.) verfassungsgemäß war.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 27.11.2024
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)
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Dokument-Nr. 34589
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