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Der u.a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte zu entscheiden, ob einer Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen werden kann, wenn die Gefahr besteht, daß sie ihre minderjährige Tochter in ein Land zurückbringen läßt, in dem dieser die an Mädchen praktizierte Beschneidung droht.
Das 1998 geborene Kind und seine nicht miteinander verheirateten Eltern sind Gambier muslimischen Glaubens. Mutter und Kind lebten in Gambia in der Familie der Großmutter, bis die Mutter dort einen Deutschen heiratete und ihm mit ihrer Tochter nach Deutschland folgte. Da sie sich hier zur Altenpflegerin ausbilden lassen will, beabsichtigte sie, das Kind zu ihrer Familie nach Gambia zurückbringen zu lassen.
Das Amtsgericht hat der Mutter das Recht der Aufenthaltsbestimmung entzogen und insoweit die Pflegschaft des Jugendamtes angeordnet. Dieses hat das Kind in einer Pflegefamilie untergebracht. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht ihr das Kind zurückgegeben und ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht nur dahin eingeschränkt, daß sie es nicht nach Gambia verbringen dürfe.
Es hat dies damit begründet, daß dem Mädchen - altersunabhängig - in Gambia die Beschneidung drohe, da die Tradition dort in fast allen ethnischen Gruppen verwurzelt sei und 80 bis 90 % der weiblichen Bevölkerung beschnitten seien. Auch die Mutter habe sich unter dem Einfluß ihrer Familie mit 13 Jahren dieser Behandlung unterzogen. Es sei nicht gewährleistet, daß sie diese Gefahr für ihr Kind effektiv abwenden könne, wenn es nach Gambia verbracht werde. Andererseits erfordere aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keinen vollständigen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Verbringung in eine Pflegefamilie.
Die Mutter bekämpft die Entscheidung mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Gefahr einer Beschneidung bestehe nicht, da die Großmutter, zu der das Kind gebracht werden solle, selbst nicht beschnitten sei, diesen Brauch ablehne und ihr jetziger Ehemann einem Stamm angehöre, in dem Beschneidungen nicht mehr vorgenommen würden.
Auch das Jugendamt hat gegen die Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der es die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses begehrt. Durch den nur teilweisen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts bleibe das Kindeswohl weiterhin in erheblichem Maße gefährdet, da nicht auszuschließen sei, daß das Kind durch Dritte über einen Mitgliedsstaat der EU mittels eines Ersatzpasses nach Gambia verbracht werde.
Der Senat folgt der Beurteilung des Oberlandesgerichts, daß die Beschneidung eines Mädchens eine grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Mißhandlung darstellt, die mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren ist. Diese Gefahr droht dem Kind auch nach Auffassung des Senats mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn es zu der Familie der Mutter nach Gambia gebracht wird. Die Großmutter hat ihre eigene Tochter nicht vor dieser Verstümmelung bewahren können, weshalb zu befürchten ist, daß sie unter dem Einfluß der Großfamilie einen solchen Eingriff auch bei ihrer Enkelin nicht verhindert. Eine Verbringung des Kindes nach Gambia muß befürchtet werden, wenn die Mutter unter dem Druck der abzulegenden Prüfungen steht und mit der Betreuung der Tochter überfordert ist, zumal sie nicht in der Lage ist, die Gefahr, die der Tochter in Gambia droht, realistisch einzuschätzen. Die angeordnete teilweise Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist deshalb ein gebotener, aber auch verhältnismäßiger Eingriff in das Elternrecht, um das Kind vor einem irreparablen physischen und psychischen Schaden zu bewahren.
Da auch nicht auszuschließen ist, daß die Mutter das Kind über einen anderen EU-Staat mittels eines Ersatzpasses nach Gambia verbringen läßt, wird einerseits zu prüfen sein, ob weitere Maßnahmen zum effektiven Schutz des Kindes erforderlich sind. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist andererseits aber auch zu prüfen, ob weniger belastende Maßnahmen als die vollständige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Unterbringung in einer Pflegefamilie ausreichen. Der Senat hat die Sache deshalb an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, damit es die erforderliche Abwägung vornehmen und in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt auch die Möglichkeit öffentlicher Hilfen, etwa im Sinne einer beaufsichtigenden Pflegschaft, prüfen kann.
Hinweis auf die Vorinstanzen: AG Dresden - 306 F 10/03 ./. OLG Dresden - 20 UF 401/03
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 31.01.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 14/2005 des BGH vom 27.01.2005
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Dokument-Nr. 137
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